Zuletzt aktualisiert am August 31, 2020
Die wöchentliche Zusammenfassung von dem, was in der Welt der Biomechanik so abgeht.
Korrektur der aktuellen Schwimm-Weltrekorde aus der Zeit der hightech Schwimmanzüge
In der Zeit um die olympischen Sommerspiele 2008 in Peking wurden mehr als 130 Weltrekorde im Schwimmen gebrochen. Im Nachhinein wurde das auf die Erfindung und den Einsatz von sog. hightech Schwimmanzügen zurückgeführt. Die neuartigen Ganzkörperanzüge verwendeten zum ersten Mal nicht-textile Materialien wie Polyurethan und konnten sowohl den Wasserwiderstand verringern als auch die Körperposition im Wasser durch mehr Auftrieb verbessern. Zwar wurden die Schwimmanzüge schon 2010 wegen dem Vorwurf des Technology-Dopings wieder verboten, viele der damals aufgestellten Rekorde haben ihre Gültigkeit jedoch behalten und bestehen bis heute. Das Ziel der heute vorgestellten Studie war es mit Hilfe von Datenanalyse und Statistik den tatsächlichen Einfluss der Anzüge zu ermitteln und zu schätzen wie diese Rekorde ohne diese kurzen Leistungssprünge wohl heute aussehen würden. Wir wollen euch damit heute mal zeigen, dass man biomechanische Forschung manchmal auch nur durch theoretische Überlegungen und mathematische Modelle vorantreiben kann.
Um den Einfluss der Schwimmanzüge bewerten zu können, haben die Autoren einen Datensatz aus den Schwimmzeiten der gängigsten Freistil-Events (50m, 100m, 200m, 4x100m) aus den Halbfinals und Finals der olympischen Spiele und Weltmeisterschaften im relevanten Zeitraum erstellt. Die olympischen Spiele von 2008 und die Weltmeisterschaft von 2009 stellten dabei die Leistung mit hightech Anzügen und die WM von 2011 und die olympischen Spiele von 2012 aus London die Leistung ohne dar. Das Ziel der Autoren war es die folgenden drei Aspekte zu beleuchten:
- Wie groß ist der „Bonus“ durch die hightech Schwimmanzüge?
- Welche natürliche Verbesserung der Leistung (durch bessere Schwimmtechnik oder Trainingsmethoden) hat über den Zeitraum 2008-2012 stattgefunden?
- Wie gut, war die intrinsische Leistung der Schwimmer im Jahr 2008?
Um diese Fragen zu beantworten haben die Autoren zunächst mit Hilfe längerer Zeitserien (von 1985 bis 2015) die Entwicklung der Jahresbestzeiten in den unterschiedlichen Disziplinen untersucht und die „fehlenden“ Zeiten von 2008 und 2009 rekonstruiert.

Um die natürliche Verbesserung der Athleten mathematisch zu beschreiben wurden die erzielten Zeiten der jeweiligen Wettkämpfe mit Normalverteilungen beschrieben (was eine Normalverteilung ist und wieso sie oft Anwendung in biomechanischer Forschung findest, kannst du in einem gesonderten Artikel zu den statistischen Grundlagen nachlesen). Mit Hilfe des Mittelwertes und der Standardabweichung dieser Verteilungen wurde eine neue zufällige Stichprobe mit 5000 Samples generiert (diese Methode heißt Bootstrapping), aus welcher die Verteilung der Verbesserungen zwischen 2008 und den folgenden Events berechnet wurde. Es wurde hier ganz bewusst mit Verteilungen und nicht diskreten Werten gerechnet, da die Autoren berücksichtigen wollten, dass ihr Modell eine gewisse Unsicherheit hat und verschiedene Schwimmer sich unterschiedlich stark im gleichen Zeitraum entwickeln. Mit dieser Methode wurde für Rennen über 50m berechnet, dass sich aus den historischen Daten Verbesserungen von 0.037, 0.110 und 0.147 s in den Jahren 2009, 2011 und 2012 gegenüber 2008 ergeben hätten.
Um den Einfluss der Anzüge zu bestimmen, wurden die rekonstruierten Weltrekorde und errechneten natürlichen Verbesserungen von den erzielten Weltrekorden abgezogen. Unter Berücksichtigung aller Faktoren haben die Autoren nun berechnet, wie hoch die aktuellen Weltrekorde liegen müssten.
Event | Aktueller Rekord | Korrigierter Rekord | Bestzeiten seit 2010 |
50m | 20.91 | 21.31 | 21.04 |
100m | 46.91 | 47.47 | 46.96 |
200m | 1:42.00 | 1:42.95 | 1:43.14 |
4x100m | 3:08.24 | 3:10.65 | 3:09.06 |
Für die kürzeren Distanzen (50m, 100m und 4x100m) liegen die Bestzeiten seit 2010 noch unter den vorhergesagten Rekorden, was für eine starke natürliche Entwicklung der Leistung der Athleten seit 2008 spricht. Die größere Differenz bei den 200m-Zeiten zeigt, dass über die größere Distanz der Einfluss der Schwimmanzüge einen größeren Effekt hat und andere Faktoren, wie der Startsprung, weniger ins Gewicht fallen.
Wie mit den 2008 und 2009 aufgestellten Rekorden umzugehen ist, kann diese Studie leider nicht beantworten. Die Autoren konnten dennoch zeigen, dass aktuelle Entwicklungen teilweise über den erwarteten Verbesserungen liegen und es nicht mehr lange dauern dürfte, bis die damaligen Rekorde von einer neuen Generation an Athleten gebrochen werden.
Gao Z., Li Y., Wang Z. (2020) Restoring the real world records in Men’s swimming without high-tech swimsuits. Journal of Quantitative Analysis in Sports, 000010151520190087, eISSN 1559-0410, ISSN 2194-6388, DOI: https://doi.org/10.1515/jqas-2019-0087.