Die wöchentliche Zusammenfassung von dem, was in der Welt der Biomechanik so abgeht.
Der umgekehrte Magnus-Effekt bei Golfbällen
Vielleicht hast du davon gehört: Golfbälle sind die schnellsten Sportbälle mit der längsten Flugdistanz [1]! Diese Tatsache macht die Aerodynamik des Balls recht interessant, da kleine Änderungen im Design große Unterschiede im Flugverhalten des Balls verursachen und letztlich den Ausgang des Spiels beeinflussen können. Anfang dieses Jahres wurde in der Zeitschrift „Sports Engineering“ eine technical Note veröffentlicht, in der interessante Beobachtungen über das Flugverhalten des Balls berichtet wurden.
Das Team nahm drei kommerziell erhältliche Golfbälle mit unterschiedlichem Oberfächendesign und schoss diese durch ihr Labor. Was sich zunächst nach einer guten Zeit beim Golfspielen anhört, war definitiv ein hoch standardisiertes Experiment: Die Gruppe benutzte eine Pitching-Maschine, um die Bälle zu beschleunigen. In dieser Maschine beschleunigt der pneumatische Linearbeschleuniger den Ball zusammen mit zwei gegenüberliegenden Flächen, einer mit hoher und einer mit geringer Reibung. Durch die Veränderung der Strecke, die der Ball auf den beiden Oberflächen rollt, konnten die Wissenschaftler die Spin-Rate verändern. Dieser Aufbau ermöglichte es dem Team, Spinraten des Balls von bis zu 3000 Umdrehungen pro Minute zu erreichen!

Ballgeschwindigkeit, Position und Rotation wurden mit Lichtschranken und Hochgeschwindigkeits-Videokameras gemessen. Die Drehung des Balls ist von größter Bedeutung, da wir wissen, dass der Magnus-Effekt die Flugbahn von sich drehenden, runden (oder zylindrischen) Objekten beeinflusst. Werfen wir also einen Blick auf die Aerodynamik: Die Luftströmung um einen fliegenden Ball kann entweder aus laminaren Grenzschichten (Abb.2a) oder aus turbulenten Grenzschichten (Abb.2b) bestehen. Es hängt von der Geschwindigkeit des Balles ab, ob die Strömung laminar oder turbulent ist, sowie auch die Größe des Windschattens. Gerade hier ist es am wichtigsten zu wissen, dass die Turbulenzen hinter dem Ball diesen abbremsen können.
Aber zusätzlich kann sich ein Golfball auch drehen, und das verändert die Strömung wieder: Ein Golfball mit Rückwärtsdrall, bei dem sich die Oberseite des Balls mit der Strömung bewegt, während sich die Unterseite gegen die Strömung bewegt, weist zwei unterschiedliche relative Luft-Ball-Oberflächengeschwindigkeiten auf. Dies führt zu der als Magnus-Effekt bekannten Aufwärtskraft (Abb.2c).

Aber was ist dann der umgekehrte Magnus-Effekt? Angenommen der Ball bewegt sich nahe der Geschwindigkeit, bei der sich die laminare Grenzschicht zu einer turbulenten verschiebt. Das richtige Maß an Backspin kann nun eine laminare Strömung auf der Oberseite, aber eine turbulente Strömung auf der Unterseite verursachen. Infolgedessen ändert der Magnus-Effekt seine Richtung und zieht den Ball nach unten (Abb.2d).
Interessanterweise wird die kritische Geschwindigkeit normalerweise bei kurzen Schlägen, sog. Chips, und nicht bei langen Schlägen (Drives) erreicht. Dieser Effekt kann jedoch bei mehreren Sportbällen auftreten, die sich nahe ihrer relativen kritischen Geschwindigkeit bewegen, wie zum Beispiel beim Baseball [2].
Lyu, B., Kensrud, J. & Smith, L. The reverse Magnus effect in golf balls. Sports Eng 23, 3 (2020). https://doi.org/10.1007/s12283-020-0318-1
Weitere Quellen:
[1] Goff JE (2013) A review of recent research into aerodynamics of sport projectiles. Sports Eng 16(3):137–154 https://link.springer.com/article/10.1007/s12283-013-0117-z?shared-article-renderer
[2] Kensrud JR (2010) Determining aerodynamic properties of sports balls in situ, Washington State University https://www.researchgate.net/publication/342207484_Investigation_of_the_Aerodynamic_Drag_of_Baseballs_with_Gyro_Spin